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Wie viele andere Branchen steht die Lebensmittelindustrie vor der Herausforderung des Klimaschutzes. Wie lassen sich die CO2-Emissionen aus der Produktion verringern? Welche Best Practice-Beispiele gibt es zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien? Darüber sprachen wir mit Johann Brunner vom Fachverband der Lebensmittelindustrie.
Welche Rolle spielt der Energieeinsatz bei der Lebensmittelproduktion? Gibt es Verfahren, die besonders energieintensiv sind?
Johann Brunner: Die Lebensmittelindustrie spielt vom Energieeinsatz her in einer ganz anderen Liga als so mancher Sektor der Investitionsgüterindustrie, wie etwa die Stahlindustrie Dennoch zählt sie zu den energieintensiveren Wirtschaftszweigen. So benötigen jene Produktionsverfahren beträchtliche Mengen an Energie, die das Erhitzen oder Abkühlen großer Mengen erfordern – sei es des Produkts selbst oder auch von Wasser, zum Beispiel für Reinigungsprozesse. Solche Verfahren kommen unter anderem in Bäckereien und Molkereien, in der Fleischverarbeitung, der Obst- und Gemüseverarbeitung oder auch in Brauereien vor.
Wie schätzen Sie den Stellenwert von Energieeffizienz für die Branche ein? Und wie können die Lebensmittelhersteller von entsprechenden Maßnahmen profitieren?
Brunner: Energieeffizienz ist ein wichtiges Thema, zumal bei manchen Unternehmen fünf bis 15 Prozent der Gesamtproduktionskosten auf Energie entfallen. Intelligente Maßnahmen zur Reduktion des Energieeinsatzes sind daher gefragt. Dazu kommt, dass die Lebensmittelindustrie wie viele andere Industriezweige auch zu einem großen Teil mit fossilen Energieträgern versorgt wird. Derzeit gibt es einige Initiativen in der Branche, schrittweise auf erneuerbare Energieträger umzusteigen.
Welche Strategien und Technologien kommen zum Einsatz, um den Energieverbrauch zu optimieren?
Brunner: Grundsätzlich muss man zwei methodische Schritte unterscheiden. Am Beginn steht die Frage: Wie kann ich mit effizienten und auch innovativen Prozesstechnologien den Energiebedarf reduzieren? Im zweiten Schritt geht es um die bestmögliche Integration erneuerbarer Energieträger. Für die meisten Prozesse in der Lebensmittelindustrie sind Temperaturen unter 100 bis 120 Grad Celsius ausreichend. Sie eignen sich daher besonders für den Einsatz von Solarthermie, Wärmepumpen, Biogas oder Biomasse.
Am Beginn steht die Frage: Wie kann ich mit effizienten und auch innovativen Prozesstechnologien den Energiebedarf reduzieren? Im zweiten Schritt geht es um die bestmögliche Integration erneuerbarer Energieträger.
Johann Brunner, Fachverband der Lebensmittelindustrie
Wie werden erneuerbare Energieträger schon heute eingesetzt?
Brunner: Erneuerbare Energien kommen in unterschiedlichen Formen zur Anwendung. Eine besonders innovative steirische Brauerei, die mittlerweile das Bier gänzlich CO2-neutral herstellt, nutzt gleich mehrere: Sonneneinstrahlung unterstützt über Solarthermie die Gewinnung von Prozesswärme. Dazu werden Wasserkraft, Biogas aus der Vergärung der Biertreber sowie die Biomasse-Fernwärme eines nahegelegenen holzverarbeitenden Betriebs genutzt, in Kombination mit energieeffizienter Produktion. Solarthermie zur Heißwasser- und Dampfgewinnung setzt auch ein niederösterreichischer Schinkenhersteller ein.
Gibt es weitere Anwendungsbeispiele für den Einsatz erneuerbarer Energien?
Brunner: Biogas kann oft auch im Zuge der Reinigung der Produktionsabwässer gewonnen und für den Betrieb von Heizkesseln genutzt werden. Dazu gibt es Beispiele in der Fruchtsafterzeugung oder der Fleischverarbeitung. Mittels Photovoltaikanlagen kann die Sonne einen Teil des benötigten Stroms liefern. Gewinnt zum Beispiel ein großer Getränkeabfüller zwei Prozent seines Strombedarfs selbst über eine solche Anlage, senkt dies die jährliche Entnahme aus dem Stromnetz um rund 250.000 Kilowattstunden, was dem Jahresverbrauch von rund 60 Haushalten entspricht.
Auch Elektromobilität auf Basis erneuerbarer Energie spielt für immer mehr Lebensmittelhersteller eine Rolle. Eine Salzburger Brauerei beliefert beispielsweise Betriebe in der Innenstadt und im Umkreis von 50 Kilometern mit einem 26-Tonnen-E-LKW. Aktuell machen Fördermöglichkeiten die E-Mobilität für viele Unternehmen besonders attraktiv.
Bei der Energiegewinnung gehen die Lebensmittelhersteller auch neue Wege – Stichwort Verwertung von Reststoffen oder Abwärme. Welche Best Practice-Beispiele gibt es in diesem Bereich?
Brunner: Mit Kraft-Wärme-Kopplung können aus Biogas oder Biomasse von Reststoffen effizient Strom und Wärme bereitgestellt werden. In vielen Fällen ist auch die Rückgewinnung und Integration von Abwärme sinnvoll. So wird der größte Kältekompressor einer Wiener Brauerei für die Wärmerückgewinnung genutzt. Auch für große Wärmepumpen tun sich hier Potenziale auf. Überschüssige Wärme kann zudem an andere Nutzer abgegeben werden. Zum Beispiel speist ein Wiener Süßwarenhersteller Abwärme aus dem Backprozess ins Fernwärmenetz ein oder eine Molkerei in Tirol ihre Produktionsabwärme.
Abwärme wird auch zur Kühlung eingesetzt. Der Wiener Süßwarenhersteller betreibt ein eigenes Blockheizkraftwerk, das die Grundlast des Stromverbrauchs abdeckt. Mit der Abwärme des Kraftwerks und von acht Backöfen werden zwei Kältemaschinen betrieben. Sie liefern zusammen 2.300 Kilowatt Kälteleistung zur Kühlung der Waffelproduktionsanlagen und der Betriebsgebäude.
Ein Beispiel für Kälte als Energiespeicher zeigt ein steirischer Familienbetrieb, der auf die Herstellung von Mehlspeisen und Hausmannskost spezialisiert ist. Die großen Kühlhäuser spielen dort eine wichtige Rolle für die effiziente Nutzung des eigenen Grünstroms aus sechs Photovolotaik-Anlagen und einem Kleinwasserkraftwerk. Mit Überschussstrom kann die Temperatur auf minus 22 Grad abgesenkt werden. Liefern die Anlagen weniger Energie, kann diese bis auf minus 18 Grad angehoben werden. Die strengen Vorgaben des International Food Standard werden dabei weiterhin eingehalten.
Mit Kraft-Wärme-Kopplung können aus Biogas oder Biomasse von Reststoffen effizient Strom und Wärme bereitgestellt werden. In vielen Fällen ist auch die Rückgewinnung und Integration von Abwärme sinnvoll.
Johann Brunner, Fachverband der Lebensmittelindustrie
Und wie steht es um klassische Effizienzmaßnahmen und Einsparungen in der Produktion?
Brunner: Zu den genannten Maßnahmen kommen solche, wo sich durch Weiterentwicklung der Technologien die Effizienz bestimmter Prozessschritte deutlich erhöht. So hat etwa ein Unternehmen, das Mineralwasser und andere Getränke abfüllt, den Stromverbrauch um jährlich 305.000 Kilowattstunden reduziert. Ausschlaggebend war der Wechsel auf die nächste Generation der Infrarotlampen in den Streckblasmaschinen, die das PET-Material elastisch machen. In einem anderen Betrieb verbraucht die neu erbaute Flaschenabfüllanlage nur noch die Hälfte der Energie pro Flasche im Vergleich zur alten Anlage.
Eine große Vorarlberger Bäckerei hat in ihrem energetischen Gesamtoptimierungskonzept die Rückgewinnung von Backwärme, energieeffizientere Lüftungsgeräte sowie eine bessere Lichtnutzung umgesetzt. Dadurch werden jährlich 245 Tonnen CO2 eingespart und 200.000 Kilowattstunden Strom weniger benötigt. Der Einsatz von Free Cooling anstatt von Klimageräten für den Serverraum spart zusätzliche 39.500 Kilowattstunden ein.
Wie lässt sich der Erfolg der Energieeffizienz-Maßnahmen in der Lebensmittelindustrie messen?
Brunner: Der Erfolg lässt sich im besten Fall sowohl in Kilowattstunden als auch in Euro messen. Betriebe, die Energiemonitoring- oder Energiemanagementsysteme betreiben, können ihre Daten im Vergleich zu einem Ausgangsjahr in standardisierter Form vergleichen. Normen wie ISO 50006 oder ISO 50015 bieten hier methodische Orientierung.
Die aktuelle Bundesförderung aws Energie & Klima macht die Einführung eines Energiemanagement-Systems für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv: Es gibt Zuschüsse für externe Beratungen und Schulungen, für die Anschaffung von Energiemonitoring-Tools und optional auch für die Zertifizierung nach ISO 50001.
Eine gute Möglichkeit sind auch Branchenkonzepte wie GREENFOODS, wo man mögliche Maßnahmen rasch identifiziert und bewertet – und das entlang der methodischen Kette der Prozessoptimierung, Systemoptimierung und der relevanten erneuerbaren Energien. Dazu kommen EU-Projekte wie ICCEE (improving cold chain energy efficiency). Es hat die Verbesserung der Energieeffizienz der gesamten Kühlkette des Lebensmittel- und Getränkesektors für Klein- und Mittelunternehmen im Fokus. Für verschiedene Sektoren wie Fleisch oder Getränke bietet die Lebensmittelversuchsanstalt dazu Workshops an.
Dr. Johann Brunner ist seit 2004 im Fachverband der Lebensmittelindustrie im Bereich der Getränkeverbände tätig. Zuvor war der Experte für Nachhaltigkeit und Abfallwirtschaft Referent für Umwelt und Energie beim Wirtschaftsförderungsinstitut tätig.
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