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Von Salbei bis Fisch: Jedes Lebensmittel hat seinen eigenen Geruch und Geschmack. Die einen mögen Oliven, den anderen sind sie zu bitter. Manifestiert sich das bereits im Mutterleib? Und wie beeinflussen Gerüche unseren Gemütszustand? Klaus Dürrschmid, Experte für Lebensmittelsensorik, beantwortet Fragen rund um die Geschmacks- und Geruchswahrnehmung.
Herr Professor Dürrschmid, Ihr neues Buch trägt den Titel „Zungenbekenntnisse: Warum der Wein im Urlaub besser schmeckt und andere Fakten und Wunder aus der Welt der Sinne“. Wie beeinflusst die sinnliche Wahrnehmung von Lebensmitteln unser Verhalten?
Klaus Dürrschmid: In erster Linie beim Akt des Essens. Sobald man merkt, dass ein Lebensmittel wohlschmeckend ist, wird man gerne und rascher davon essen, vielleicht auch größere Mengen verzehren. Wenn etwas nicht gut schmeckt, isst man weniger davon. Doch das Wichtige ist: Wie werden sensorische Wahrnehmungen als Erinnerungen oder Erfahrungen abgespeichert? Denn sie beeinflussen uns in unserem Verhalten und unserer Wahl von Lebensmitteln in der Zukunft. Damit wir zu einem bestimmten Lebensmittel greifen, ist es besonders wichtig, dass das Erlebnis des Verzehrs, des Essens oder Trinkens, in positiver Erinnerung bleibt. Darauf bauen wir unsere Erwartungen auf, das lenkt unser Verhalten.
Wie können wir uns das konkret vorstellen?
Dürrschmid: Hier kommt der „Liking by tasting“- oder „Exposure“-Effekt ins Spiel. Das heißt: Wir essen das, was wir bereits kennengelernt haben. Man sagt immer: Wir essen das, was uns schmeckt. Aber das Gegenteil ist zutreffend – uns schmeckt das, was wir essen beziehungsweise zu essen gelernt haben. Das Lernen beginnt schon im Mutterleib. Gewisse Aroma- und Geschmacksstoffe gehen ins Fruchtwasser über und werden so zum Ungeborenen transportiert. Nach der Geburt ist dieser Übertragungseffekt noch stärker, Kinder wachsen in eine Ernährungskultur hinein.
Uns schmeckt das, was wir essen – nicht umgekehrt. Das beginnt schon im Mutterleib: Gewisse Aroma- und Geschmacksstoffe gehen ins Fruchtwasser über und werden so zum Ungeborenen transportiert. Später wächst das Kind in eine bestimmte Ernährungskultur hinein.
Bedeutet das, wenn die Mutter während der Schwangerschaft bestimmte Nahrungsmittel zu sich nimmt, dass ihr Kind jene auch mögen wird?
Dürrschmid: Lebensmittel haben sehr unterschiedliche Aromen und Geschmacksstoffe. Man weiß nicht von allen Aromen, ob sie ins Fruchtwasser oder in die Muttermilch übergehen. Das wurde zum Beispiel im Jahr 2000 mit Anis getestet. Ein Teil der Testpersonen – schwangere Frauen – nahm Anisplätzchen zu sich, der andere Teil nicht. Die Babys, deren Mütter Anisplätzchen zu essen bekamen, mochten nach der Geburt Anis. Die anderen reagierten ablehnend oder neutral darauf.
Ähnlich sah es aus, wenn Mütter während der Schwangerschaft sehr unterschiedliche Nahrungsmittel zu sich nahmen. Die Kinder haben dieses Ernährungsmuster übernommen und ihre Ernährungsvorlieben waren sehr unterschiedlich. Kinder hingegen, deren Mütter sich sehr monoton ernährten, waren bei neuen Aromen wählerisch. Wenn es um Nahrungsmittel-Neophobie – die Angst vor neuen Nahrungsmitteln – geht, kann die Ernährung der Mutter also sehr wohl eine Rolle spielen.
Manche Aromen – wie beispielsweise Anis – gehen ins Fruchtwasser oder die Muttermilch über. Die Ernährung der Mutter während oder nach der Schwangerschaft kann somit Auswirkungen auf das Essverhalten der Kinder haben: beispielsweise im Hinblick auf die Angst vor neuen Nahrungsmitteln.
Stichwort Aromen: Warum sind Lebensmittel überhaupt aromatisiert?
Dürrschmid: Lebensmittel werden aromatisiert, um die sensorische Qualität auf einem hohen Niveau zu halten. Ohne Aromatisierung hätten wir große Schwankungen durch zu viele unterschiedliche Rohstoffe, eventuell lässt sich das Lebensmittel in der Menge gar nicht produzieren. Ein Beispiel hierfür ist das Erdbeerjoghurt: Das ließe sich in so riesigen Mengen ohne Aromatisierung gar nicht herstellen.
Klaus Dürrschmid ist überzeugt, dass wir durch bewusstere Geschmackswahrnehmung ein glücklicheres Leben führen können. Foto: Jack_Frog / Shutterstock
Durch die Aromatisierung von Lebensmitteln sind Konsumentinnen und Konsumenten daran gewöhnt, sich beim Riechen nicht mehr anstrengen zu müssen. Kann man das Riechen „trainieren“?
Dürrschmid: Natürlich kann man die Riechwahrnehmung trainieren. Je früher man damit anfängt, umso besser – denn ab 50 degeneriert diese Fähigkeit. Durch Training kann man das eindämmen. Das geht ganz einfach: Man kann das Riechen in den Alltag integrieren, indem man sich verschiedene Gerüche immer wieder bewusst macht. Beispielsweise kann man an Rosmarin, Thymian oder Oregano riechen und sich bewusst machen, wonach es riecht und schmeckt.
Ab einem Alter von 50 Jahren degeneriert die Riechwahrnehmungsfähigkeit. Das Riechen kann jedoch trainiert werden. Klaus Dürrschmid empfiehlt, bewusstes Riechen ins tägliche Leben zu integrieren.
Wieso sind so viele unserer Geruchs- und Geschmacksempfindungen an Gefühle und Erinnerungen gekoppelt? Wieso schmeckt Wein im Urlaub besser als daheim?
Dürrschmid: Unsere Sinneswahrnehmungen werden im Gehirn erzeugt. Dort entstehen auch die Emotionen, mit denen wir Informationen aus der Umwelt bewerten und kategorisieren. Die Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen werden ganz stark von anderen Wahrnehmungen und Erwartungen beeinflusst. Es kommt immer auf den Kontext, die Situation an. Je intensiver die Situation erlebt wird, desto stärker ist ihr Einfluss auf die Bewertung der sinnlichen Wahrnehmung. Im Urlaub ist man in der Regel entspannt und offen für Neues, die Ess- beziehungsweise Trink-Situationen sind nicht so wie im Alltag zu Hause. Daher bewertet man die dabei entstehenden Wahrnehmungen anders und der Wein in der entspannten Urlaubssituation schmeckt besser als in der Alltagssituation.
Die Sinneswahrnehmung ist stark von anderen Einflüssen abhängig sowie an Gefühle und Erinnerungen gekoppelt. Im Urlaub ist man tendenziell entspannter und offener für neue Erfahrungen. Es kommt also immer auch auf die Verzehrssituation an.
Woran liegt es, dass wir bestimmte Lebensmittel besonders gern mögen und andere wiederum gar nicht? Wie wirken sich Gerüche auf das menschliche Gemüt aus? Und gibt es Lebensmittel, deren Gerüche uns „glücklicher“ machen?
Dürrschmid: Gerüche können bestimmte Reaktionen in uns auslösen, uns beispielsweise an bestimmte Erlebnisse erinnern. Wenn mich ein Geruch etwa an eine geliebte verstorbene Person erinnert, kann dieser für mich sehr positiv behaftet sein, mich aber auch traurig stimmen. Gerüche wie Vanille rufen jedoch weltweit positive Reaktionen hervor. Vanille ist ein Bestandteil der Muttermilcharomen und löst wahrscheinlich daher in Menschen ein Gefühl der Vertrautheit, Intimität und Geborgenheit aus – basierend auf den positiven Assoziationen der ersten kindlichen Ernährungserfahrungen. Es gibt aber auch Aromen, die häufig negative Assoziationen auslösen wie beispielsweise nussig-bittere Aromen, sie werden auch mit Alter und Tod verknüpft und nicht wie Vanille mit der Jugend.
Welchen Unterschied macht es, ob ein Lebensmittel süß oder bitter ist?
Dürrschmid: Wir werden mit einer starken Präferenz für Süßes und einer Aversion gegenüber Bitterem und Saurem geboren. Es gibt viele Indikatoren, dass das genetisch verankert ist. Bittere Geschmäcker werden oft von Lebensmitteln transportiert, die toxisch sein können. Zucker hingegen ist eine leicht verfügbare Kohlenhydrat- und Energiequelle, auf die das Gehirn positiv reagiert. An bitter und sauer gewöhnen wir uns erst langsam und lernen es in gewissen Kontexten als positiv kennen. Als Kind trinkt man noch keinen Espresso – mit der Zeit merken wir aber: Er ist aromatisch und macht munter. Ähnliches gilt auch für alkoholische Getränke wie Bier.
Menschen werden mit einer Süßpräferenz sowie einer Aversion gegen Bitteres und Saures geboren. Süße Geschmäcker werden bereits im Kindheitsalter präferiert, an bitter und sauer muss man sich erst gewöhnen. Es gibt einige Indikatoren, dass dies genetisch verankert ist.
Symptome von COVID-19 können Geruchs- und/oder Geschmacksverlust sein. Welche Auswirkung hat es auf Menschen, wenn sie nichts mehr riechen oder schmecken können?
Dürrschmid: Wenn man Lebensmittel nicht mehr riecht und schmeckt, bedeutet das einen gravierenden Verlust an Lebensqualität. Essen und Trinken sind stark mit Lustgefühlen verbunden – für viele hängt der tägliche Genuss von Kaffee mit ihrem Wohlbefinden zusammen. Vor allem das Ausbleiben des Geschmacks kann zu Depressionen führen. Auch der Sicherheitsaspekt ist nicht zu vergessen: Unsere Geschmacks- und Riechwahrnehmung hat den Sinn, uns ungefährliche Lebensmittel zuzuführen. Riechen und schmecken wir nichts, ist die Gefahr groß, dass wir toxische oder verdorbene Lebensmittel zu uns nehmen.
„Wer seine Sinne schärft, ist glücklicher“, sagt der Sensorikexperte Klaus Dürrschmid. In seinem neuen Buch lässt er uns in die Welt der Sensorik eintauchen und räumt mit verbreiteten Mythen und Halbwahrheiten auf. Erschienen 2020 im Brandstätter-Verlag.
In Ihrem neuen Buch geht es um die Welt des Geschmacks und das Netzwerk unserer Sinne. Welche Botschaften geben Sie den Leserinnen und Lesern darin mit?
Dürrschmid: Die Hauptidee des Buches ist, die Vorstellung von Geschmackswahrnehmung zu korrigieren. Wir haben den Eindruck, dass diese Wahrnehmung unabhängig von anderen Wahrnehmungen ist. Dabei hängt sie ganz stark von diesen ab. Der Geschmack ist ein Konstrukt aus der Geschmackswahrnehmung über die Zunge und der Riechwahrnehmung von Duftstoffen im Mund sowie allen anderen Wahrnehmungen wie Aussehen, Textur, Temperatur oder Mundgefühl. Aber auch die Verzehrssituation und Informationen über das Lebensmittel beeinflussen unsere Geschmackswahrnehmungen stark. Zentral im Buch ist auch die Überzeugung, dass wir durch bewusstere Geschmackswahrnehmung ein glücklicheres Leben führen können.
Ass.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Klaus Dürrschmid leitet das Labor für Sensorik und Konsumentenwissenschaften des Instituts für Lebensmittelwissenschaften und -technologie der Universität für Bodenkultur in Wien. Der Lebensmittel- und Biotechnologe ist seit 1990 in der Forschung und Lehre tätig. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Zeitschrift DIE ERNÄHRUNG. Darüber hinaus engagiert sich Klaus Dürrschmid in diversen wissenschaftlichen Vereinigungen wie dem European Sensory Network (ESN) und dem Sensorik Netzwerk Österreich (SNÖ).