WIFO-Experte Franz Sinabell im Interview.

Foto: Alexander Müller

Industrie

WIFO-Experte: So entwickeln sich die Lebensmittelpreise

Steigende Rohstoff- und Energiepreise, Lohnkosten und Inflation: die Lebensmittelproduktion wurde teurer. Wie sich die Lebensmittelpreise bilden und welche Herausforderungen das für die Lebensmittelindustrie bedeutet, erklärt WIFO-Experte Franz Sinabell.

Herr Sinabell, inwiefern wirken sich die aktuellen Rohstoffpreise auf die Preisgestaltung von Lebensmitteln aus – insbesondere im Hinblick auf Schwankungen und Trends in der globalen Beschaffung?

Franz Sinabell: Die Preise für Lebensmittel sind stark von Rohstoffmärkten abhängig. Früher konnten Handels- und Agrarpolitik Preisanstiege verursachen – das ist heute anders. Denn: Wenn wichtige Rohstoffe wie Getreide oder Energie knapper und somit teurer werden, beeinflusst dies die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln – von Mehl über Fleisch bis hin zu Milch- und Milchprodukten. Vor allem Energiekosten wirken auf jeder Ebene der Lebensmittelherstellung: Ob zum Pasteurisieren von Milch oder Fruchtsaft, zum Backen von Brot und Gebäck oder auch zur Kühlung von Fertigprodukten und Tiefkühlware – Energie wird überall gebraucht. Auch höhere Holzpreise treiben den Lebensmittelpreis in die Höhe, weil der Rohstoff für manche Verpackungsarten verwendet wird. 

Die Preise für wichtige Agrargüter werden vom Weltmarkt bestimmt – von Getreide, Reis und Sonnenblumenöl bis zu Kaffee, Orangen und Haselnüssen. Märkte für Frischprodukte wie Obst und Gemüse unterliegen dabei eher regionalen Einflüssen. Wobei die Region hier – also im Fall von Österreich – Europa umfasst und somit die Produktionsbedingungen von Sizilien bis Dänemark.

Die Kosten für Agrarrohstoffe sind aufgrund multipler Krisen stark gestiegen: Welche Herausforderungen ergeben sich daraus in den kommenden Jahren für die Lebensmittelindustrie?

Sinabell: Die Lebensmittelproduktion steht vor der Herausforderung steigender Kosten für Vorleistungen und höheren Löhnen sowie eines intensiven Wettbewerbs. Unlautere Handelspraktiken seitens des Handels – etwa nicht vereinbarte Bonusforderungen – und die Ausweitung seiner vertikalen Integration setzen Hersteller unter Druck (Anmerkung der Redaktion: Die „vertikale Integration“ beschreibt das Eingliedern vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungsstufen in ein Unternehmen, zum Beispiel der Produktion in ein Handelsunternehmen.). Außerdem werden auf internationalen Märkten – etwa im Vereinigten Königreich – zunehmend Qualitätsabstriche und Betrug beobachtet. Dafür gibt es in Österreich und Mitteleuropa bislang keine Hinweise.

Verbraucherinnen und Verbraucher sollten aber stetig wachsam bleiben und Wert legen auf die Aufklärung über sichere, qualitative und genussvolle Lebensmittel und wie diese erkannt werden.

Die Lebensmittelproduktion steht vor der Herausforderung steigender Kosten für Vorleistungen und höheren Löhnen sowie eines intensiven Wettbewerbs.

Franz Sinabell, Ökonom beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)

Trotz rückläufiger Inflationsraten bleiben die Lebensmittelpreise vergleichsweise hoch. Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung? Gibt es Anzeichen für ein bevorstehendes Ende der Preisanstiege?

Sinabell: Das Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung – „WIFO“ – hat erst kürzlich eine Prognose über die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln veröffentlicht. Das Ergebnis: Nahrungsmittel und Getränke werden 2024 voraussichtlich um 5,25 Prozent teurer sein als im Vorjahr. Der Grund: Auch wenn Agrargüter nicht mehr so viel kosten wie nach dem starken Anstieg 2022, sind die Lohnkosten und die Mieten angestiegen. Diese sind für die insgesamt höheren Preise hauptverantwortlich.


Welche direkten Auswirkungen hat die aktuelle Wirtschaftslage auf die Verbraucherinnen und Verbraucher – und wie beeinflusst das wiederum Nachfrage und Preisgestaltung? Welche Unterstützungsmaßnamen wären aus Ihrer Sicht notwendig und zielführend?

Sinabell: Die allgemeine Inflation ist immer noch vergleichsweise hoch – sie wirkt sich aber unterschiedlich auf die Verbrauchergruppen aus: Pensionistinnen und Pensionisten sind anders betroffen als Beschäftigte mit unterschiedlichen Lohnabschlüssen, Studierende oder jene Personen, die auf bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen sind.

Die Politik sollte aus meiner Sicht zwei Lösungsansätze im Auge behalten: Es ist wichtig, prekäre Gruppen finanziell zu unterstützen, um menschliches Leid zu verhindern. Personen, die durch die Teuerung erschwerte Lebensbedingungen haben, sollten finanzielle Unterstützung erhalten. Andere Verbraucherinnen und Verbraucher sollten ihre Konsumentscheidungen an das veränderte Preisniveau anpassen, den Wert hochwertiger Lebensmittel schätzen und Verschwendung vermeiden. Wie es schon im Begriff „Lebensmittel“ steckt: die Lebensqualität hängt maßgeblich davon ab, was man zu sich nimmt und nicht wofür man sein Geld ansonsten ausgibt.

Weitere Informationen und Wirtschaftsprognosen finden Sie hier: wifo.at

Wollen Sie mehr zur Entstehung von Lebensmittelpreisen erfahren? Lesen Sie unseren Beitrag Wer bestimmt eigentlich den Lebensmittelpreis?.

Über Franz Sinabell

Priv. Doz. Dipl.-Ing. Dr. Franz Sinabell ist Ökonom (Senior Economist). Seit 2002 ist er in der Forschungsgruppe „Klima, Umwelt- und Ressourcenökonomie“ des Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig. Nach Studien der Ökonomie und Agrarökonomie war Sinabell an zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Projekten beteiligt. Von 2008 bis 2012 war er außerdem Stellvertretender Leiter des WIFO.

  • Schriftliches Interview mit Priv. Doz. Dipl.-Ing. Dr. Franz Sinabell (April 2024)
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