Foto: BillionPhotos.com / Adobe Stock

Menschen

Trends: Das tut sich in der Lebensmittel­technologie

Welche Trends und Inno­vationen gibt es in der Lebensmittel­technologie? Was wünschen sich die Konsument­innen und Konsumenten? Die Lebensmittel­technologin und Ernährungs­wissenschaft­lerin Regine Schön­lechner liefert Einblicke.

Vom Klimawandel über steigende Anforderungen von Seiten der Konsumentinnen und Konsumenten bis hin zu neuen Verfahren und Methoden: In der Lebensmitteltechnologie werden Verfahren laufend weiterentwickelt. Wir haben mit Regine Schönlechner, assoziierte Professorin am Institut für Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien, über Trends und Herausforderungen gesprochen.

Frau Dr. Schönlechner, welchen Ansprüchen müssen Lebensmittel heutzutage gerecht werden?

Regine Schönlechner: Wenn man beobachtet, was sich am Markt tut, dann müssen Lebensmittel heute folgende Kriterien erfüllen: Sie müssen schonend hergestellt werden, gesund und möglichst preisgünstig sein. Gerade auf Seite der Konsumentinnen und Konsumenten werden immer öfter „gesunde“ Lebensmittel eingefordert. Unter „gesund“ verstehen die Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst wenig verarbeitet. Dazu muss ich allerdings sagen: Es gibt keine ungesunden Lebensmittel am Markt, denn diese wären ja gar nicht verkehrsfähig.

Von schonenden Haltbarmachungsverfahren bis zu intelligenten Lebensmittelverpackungen: Welche Trends und Innovationen gibt es aktuell in der Lebensmitteltechnologie?

Schönlechner: Ein Trend in der Forschung geht in Richtung schonende Haltbarkeitsmethoden. Die Haltbarkeit ist ja einer der Gründe, warum wir Lebensmittel überhaupt verarbeiten. Schonend ist alles, was mit wenig Temperatur beziehungsweise Hitze auskommt. In diesem Bereich sind viele innovative Methoden im Entstehen. Darunter fallen etwa nichtthermische Verfahren wie die Hochdruckbehandlung oder die sogenannte PEF-Induktion, bei der Strom zur Haltbarmachung eingesetzt wird (PEF steht dabei für Gepulste Elektrische Felder). Das Ziel dieser Verfahren ist immer, schädliche Mikroorganismen abzutöten, ohne dabei Vitamine und Nährstoffe zu zerstören.

Auch bei der Lebensmittelverpackung tut sich viel. Dieses Thema ist jedoch sehr sensibel. Durch den Trend zu „Zero Waste“ versuchen die Menschen immer mehr, Verpackung zu vermeiden. Dabei ist in vielen Fällen zu bedenken, dass die Verpackung das Lebensmittel auch schützt. Ein gutes Beispiel ist die Salatgurke: Viele betrachten die Verpackung in Folie als unnötig – in Wirklichkeit schützt diese das Produkt und verlängert seine Haltbarkeit immens. Das heißt: In vielen Fällen können an den konkreten Bedarf angepasste Verpackungen sehr wohl sinnvoll sein. Hier gibt es viele Möglichkeiten – vom Verpacken unter Schutzatmosphäre (Modified Atmosphere Packaging) bis hin zur intelligenten Verpackung, die anzeigt, ob das Produkt noch frisch ist.

Viele betrachten die Verpackung der Salatgurke in Folie als unnötig – in Wirklichkeit schützt diese das Produkt und verlängert seine Haltbarkeit immens. Das heißt: In vielen Fällen können an den konkreten Bedarf angepasste Verpackungen sehr wohl sinnvoll sein.

Regine Schönlechner, Lebensmitteltechnologin an der BOKU Wien

Welche neuen Verfahren werden am Institut für Lebensmitteltechnologie an der BOKU Wien eingesetzt – und welche davon sind besonders vielversprechend?

Schönlechner: An der BOKU Wien wird gerade viel zu Impulsverfahren – also Impulse Electric Fields – geforscht. Diese Methode gilt als Alternative zur Ultrahochtemperatur (UHT)-Erhitzung und ist sehr schonend. Sie funktioniert meines Wissens gut, ist am Markt jedoch noch nicht etabliert. Ein anderes Beispiel ist das Ohm‘sche Erhitzen für die Herstellung von glutenfreiem Brot. Dabei werden Stromelektronen an die Backform angeschlossen und der Strom wird direkt durch den Teig geschickt. Das Brot ist dann innerhalb von 15 Sekunden durchgebacken. Hier ist allerdings die Skepsis der Konsumentinnen und Konsumenten zu bedenken – wie diese zu „Strom im Essen“ stehen, lässt sich schwer vorhersagen.

Der Trendmonitor 2020 der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft zeigt: Bei der Verarbeitung von Lebensmitteln, der Verpackung und Logistik werden zunehmend Robotertechnologien eingesetzt. Welche Fortschritte können dadurch erzielt werden?

Schönlechner: Einerseits kann der Einsatz von Robotik die Produktion erleichtern. Andererseits kann etwa durch die Reinraumtechnologie eine geschlossene Produktionslinie kreiert werden, in die weder Menschen noch Keime hineinkommen. Durch dieses saubere Vorgehen sind weniger Haltbarkeitsmaßnahmen erforderlich.

Welchen gesellschaftlichen Herausforderungen sehen Sie sich als Lebensmitteltechnologin aktuell gegenüber?

Schönlechner: Am meisten beschäftigt mich die „Angst“ der Konsumentinnen und Konsumenten vor dem Essen. Alles muss „frei von“ oder „gesund“ sein, dabei können die Verbraucherinnen und Verbraucher oft gar nicht beschreiben, was sie konkret darunter verstehen. Grundsätzlich sage ich: Schaut auf die Ernährungspyramide, kauft danach ein und esst danach. Es gibt einfach Nahrungsmittel wie Getreide, die verarbeitet werden müssen, um verzehrt werden zu können. Außerdem ist der Wunsch nach Convenience Food extrem groß – alles muss einfach und schnell zuzubereiten und zu verzehren sein, dabei möglichst energiearm und nährstoffreich. Auch „Natürlichkeit“ und Regionalität werden immer stärker eingefordert. Ich sage: Wir müssen die Menschen wieder dazu animieren, ihr Essen zu genießen und keine Angst vor Lebensmitteln zu haben.

Wie gehen Sie damit um, dass immer mehr Menschen möglichst naturbelassene Lebensmittel möchten und technologische Prozesse ablehnen – selbst, wenn dadurch positive Effekte erzielt werden?

Schönlechner: Ein gutes Beispiel ist das Homogenisieren und Pasteurisieren von Milch – das führt dazu, dass die Milch im Vergleich zu Rohmilch länger haltbar ist, weil so auch das Fett oben nicht ranzig wird. Das Problem ist: Viele Menschen haben heute keinen Zugang mehr zur Zubereitung von Lebensmitteln. Sie möchten, dass alles naturbelassen und wenig verarbeitet ist, wissen aber nicht, was dahintersteckt. Hier ist es wichtig, mehr Transparenz zu schaffen und zu zeigen, wie Lebensmittel zubereitet und verarbeitet werden. Der Apfel vom Baum ist naturbelassen – der hilft mir aber nicht, mich das ganze Jahr hindurch zu ernähren. Ich versuche immer, den Konsumentinnen und Konsumenten folgendes zu vermitteln: Lebensmittel werden verarbeitet, damit sie hygienisch, sicher und länger haltbar sind.

Die Konsumentinnen und Konsumenten möchten, dass alles naturbelassen und wenig verarbeitet ist, wissen aber nicht, was dahintersteckt. Hier ist es wichtig, mehr Transparenz zu schaffen und zu zeigen, wie Lebensmittel zubereitet und verarbeitet werden.

Regine Schönlechner, Lebensmitteltechnologin an der BOKU Wien

Auch der Klimaschutz wird immer wichtiger. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Lebensmitteltechnologie?

Schönlechner: Nachhaltigkeit ist ein bedeutendes Thema, da gibt es auf allen Ebenen Handlungsbedarf. Wichtig sind regionale Rohstoffe und kurze Transportzeiten, aber zum Beispiel auch die Reduktion von „Food Waste“ (Lebensmittelabfälle). Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche vom Produzenten bis zum Konsumverhalten. Ist es wirklich notwendig, im April Äpfel oder im Dezember Erdbeeren zu essen? Saisonaler Konsum ist beispielsweise eine mögliche Strategie für mehr Nachhaltigkeit in der Ernährung.

Sie beschäftigen sich auch in Ihrer Forschung mit Nachhaltigkeit. Woran arbeiten Sie gerade?

Schönlechner: Mein Hauptforschungsgebiet ist Getreidetechnologie und Getreideverarbeitung. Aktuell forsche ich zum Einsatz von alternativen Getreidesorten bei der Teigherstellung. Diese können und sollen aber auf keinen Fall den Weizen ersetzen, sondern ihn „ergänzen“. Es geht um die Vielfalt in der Ernährung. Das ist nicht nur für die Landwirtschaft sinnvoll, sondern auch im Hinblick auf den Klimawandel. Wir haben derzeit ein Sorghum-Hirse-Amaranth-Projekt am Laufen, weil diese drei Sorten hitzeverträglich sind. Sorghum ist zum Beispiel sehr bekömmlich, ernährungsphysiologisch interessant und auch neu für uns.

Gemüse aus Turmgewächshäusern, Insektenburger oder Fleisch aus dem Reagenzglas: Wie beurteilen Sie solche Entwicklungen im Bereich Future Food?

Schönlechner: Ich finde vor allem die Gewächshäuser mit LED-Licht spannend – das könnte ein Beitrag zur Nachhaltigkeit werden, statt Äpfel oder Beeren im Winter zu importieren. In Ländern wie Island werden solche Lösungen mit künstlichem Licht bereits umgesetzt, weil es dort sonst kein Gemüse gäbe. Potenzial bieten auch Alternativen für Proteine und Fleisch. Insekten werden sich wohl nicht in der Breite durchsetzen, hier ist der Ekelfaktor noch zu groß. Außerdem gibt es genügend pflanzliche Alternativen, vom Seitan-Burger bis zum Kichererbseneintopf.

Fleisch aus dem Reagenzglas könnte ich mir vor allem im Bereich der Wurstwaren vorstellen. Das ist aber noch eine Kostenfrage, wobei man sagen muss, dass auch das immer günstiger werden wird. Generell gilt: Wenn etwas gut schmeckt, leistbar ist und sich einfach in die jetzige Ernährungsform integrieren lässt, dann setzt es sich durch. Für mich ist die Avocado ein solches Beispiel. Vor 20 Jahren war diese überhaupt kein Thema und jetzt essen wir ganz viel davon.

Wo sehen Sie die Lebensmitteltechnologie in fünf Jahren – und was wünschen Sie sich?

Schönlechner: Ich denke, dass uns in fünf Jahren der Klimawandel in der Lebensmitteltechnologie noch stärker beschäftigen wird. Dann werden wir uns auch verstärkt Proteinalternativen und so weiter widmen. Persönlich wünsche ich mir, dass das Klima wieder ein größerer Motivationsfaktor wird, der Ernährung einen größeren Stellenwert einzuräumen. Nicht nur, weil es ihnen persönlich um Gesundheit geht, sondern auch, weil es um das große Ganze geht.

Und zuletzt habe ich noch einen Herzenswunsch: Ich wünsche mir, dass Essen einfach Essen ist – es soll keine „Medizin“ sein, sondern uns ernähren und gut schmecken. Genießen wir unser Essen – am besten gemeinsam mit lieben Menschen!

Über Regine Schönlechner

Assoc. Prof. Dr. Regine Schönlechner ist assoziierte Professorin am Institut für Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien. Zu den Forschungsschwerpunkten der Lebensmitteltechnologin und Ernährungswissenschaftlerin zählen Getreidewissenschaften, Pseudogetreide und Lebensmittelzusatzstoffe. Regine Schönlechner ist Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) und der Internationalen Gesellschaft für Getreidetechnologie und -wissenschaften, Sektion Austria (ICC-Austria).

  • Interview mit Assoc. Prof. Dr. Regine Schönlechner, Universität für Bodenkultur Wien (Jänner 2021)
  • DLG-Trendmonitor 2020. Roboter in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Herausgegeben von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Auf: dlg.org (abgerufen am 8. Februar 2021)

Wir empfehlen diese Artikel zum Weiterlesen

Essen Sie informiert! Read Email A line styled icon from Orion Icon Library.